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Sauerteigstarter

An Zeit mangelt es den meisten Menschen ja gerade nicht. Dafür aber an Hefe: seit zwei Wochen ist das praktische Triebmittel in den Supermärkten so rar wie Toilettenpapier. Wer trotzdem endlich mal sein eigenes Brot backen will und neben ein paar Kilo Mehl auch noch ein bisschen Geduld auf Lager hat, der setzt jetzt einfach einen Sauerteigstarter an.

Im obersten Fach meines Kühlschranks steht eine kleine Tupperschüssel, in der eine hellbraune, schleimige, fermentierte Masse vor sich hin blubbert. Kein Grund zur Panik! Im Gegensatz zu anderen Lebensmitteln, die ich in diesem Stadium lieber entsorgen würde, handelt es sich hierbei um etwas besonders Wertvolles: einen Sauerteigstarter! Millionen Mikroben, Bakterien und Pilze verrichten ihre Arbeit hier zu einem guten Zweck. Es ist eine symbiotische Gemeinschaft von Mikroorganismen, die hier am Werk ist; vor allem sind es wilde Hefen, die im Getreide enthaltene Stärke in Zucker umwandeln, wobei Kohlenstoffdioxid entsteht – das Gas, das für die Luftbläschen und später für die Löcher im Brot verantwortlich ist. Außerdem produzieren sie kleine Mengen Alkohol, die von Essigsäurebakterien in Essig umgewandelt werden. Milchsäurebakterien wiederum sind dafür zuständig, durch die Produktion von Milchsäure den pH-Wert niedrig zu halten und die enzymatische Aktivität zu bremsen, damit sich im Teig keine unerwünschten Bakterien vermehren können. Doch woher kommen diese Millionen unsichtbaren Helferlein? Für den Ansatz meines Sauerteigstarters habe ich doch nur Mehl und Wasser verwendet! Das ist die Magie des Sauerteigs: Den Getreidekörnern haften bereits auf dem Acker unzählige Pilzsporen, wilde Hefen und andere Mikroorganismen an. Diese werden dann mit dem Korn vermahlen und gelangen so ins Mehl.

Hefen, Pilze und Bakterien sind die unsichtbaren Helferlein.

Und auch durch die Luft wirbeln Milliarden mikroskopische Partikel, die diese bioaktiven Substanzen als Vehikel benutzen, um in alle Winkel unserer Umgebung zu gelangen. Ohne diese frei umherschwebenden Substanzen hätten unsere Vorfahren weder Bier brauen noch Brot backen können – denn Zuchthefen gibt es erst seit knapp 150 Jahren. Die Säure sowie die Stoffwechselprodukte der Pilze und Hefen im Teig geben später dem Brot seinen ganz typischen, unverwechselbaren Geschmack – und sie verbessern die Verdaulichkeit und Haltbarkeit von Vollkornbackwaren.

Natürlich werden auch Brote aus feinem Weizenmehl mit Sauerteig hergestellt, was sich vor allem auf das Aroma auswirkt. Vollkornbrote aber, besonders Brote mit hohem Roggenanteil, werden überhaupt erst durch Sauerteig backfähig: Ohne die Lockerung durch die Aktivität der Hefen und Milchsäurebakterien bleibt die Krume klebrig, ist unangenehm zu kauen und schwer verdaulich. Es gibt auch noch einige weitere positive Nebeneffekte von Sauerteig, die die Gesundheit unseres Körpers fördern: Vollkornmehle enthalten viele Mineralstoffe wie Zink, Magnesium und Eisen, weshalb Vollkornbrote unseren Körper mit wesentlich mehr wichtigen Nährstoffen versorgen als Brote aus Weißmehl. Leider enthält das Vollkornmehl aber auch Phytinsäuren, die diese Nährstoffe an sich binden und verhindern, dass sie bei der Verdauung absorbiert werden können. Die Milchsäurebakterien aber, die im Sauerteig aktiv sind, bauen die Phytinsäure während der Gare ab, was für uns die Aufnahme der Mineralien erleichtert.

Ein weiterer Pluspunkt ist der niedrige glykämische Index (weil die Milchsäuren die Stärke- und Proteinstruktur im Teig verändern), ganz abgesehen von den probiotischen Vorteilen, die die Fermentation des Getreides mit sich bringt. Zwar überleben die Mikroorganismen im Teig den Backvorgang nicht, aber bevor sie durch die Hitze abgetötet werden, hinterlassen sie uns eine Vielzahl immunstärkender, antioxidativer und krebshemmender Stoffe.

Das Aroma bekommt man mit Frischhefe nicht hin.

Das Wichtigste neben all den gesundheitlichen Aspekten ist aber das Aroma des Brotes. Durch den Sauerteig entstehen Geschmacksnuancen, die von der individuellen Zusammensetzung der Pilz- und Bakterienkultur abhängen, welche sich im Teig angesiedelt hat. Und genau das ist für mich das eigentlich Spannende. Je nach Umgebung, verwendeten Zutaten, Temperatur usw. entwickelt sich ein einzigartiger Sauerteig, der den daraus entstehenden Backwaren eine vollkommen eigene Charakteristik verleiht. So etwas bekommt man mit gekauften Frisch- oder Trockenhefen nicht hin; auch fertige Sauerteigansätze aus dem Supermarkt oderdem Reformhaus schmecken im Vergleich meist fad und flach. Dabei handelt es sich nämlich um Reinzuchtsauer, also industriell hergestellte, mit bestimmten Bakterienkulturen geimpfte Mischungen, die dem Bäcker eine sichere, stabile Leistung garantieren und deshalb wirtschaftlicher sind.

Aber beim Sauerteig ist es nicht anders als bei anderen Lebensmitteln: Höhere Wirtschaftlichkeit geht auf Kosten des Geschmacks. In individuellen Sauerteigstartern hingegen wurden mehr als 300 Aromen festgestellt; so entstehen geschmacklich außergewöhnliche, von Stadt zu Stadt und von Bäcker zu Bäcker verschiedene Sauerteigbrote. Es wäre wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass sogar jedes Sauerteigbrot ein geschmackliches Unikat ist, denn alleine der Umstand, dass ein Brotteig nur eine Minute länger in der Gare ist als ein anderer, beeinflusst den Geschmack (auch wenn der Unterschied dann minimal ist). Früher hatte jedes Dorf, jeder Bäcker und jedes Kloster seinen eigenen Sauerteigstamm. Viele dieser Kulturen wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Auch heute noch gibt es Bäcker, die hunderte Jahre alte Sauerteigstämme pflegen, hegen und an die nächste Generation weitergeben. Im Laufe einer so langen Zeit entwickeln die Sauerteige eine hochkomplexe Aromenvielfalt, die sich natürlich im Geschmack des Brotes niederschlägt.

Aber keine Angst: Wir müssen nicht 250 Jahre warten, um einen aromatischen Sauerteig herstellen zu können. Das Ansetzen eines eigenen Sauerteigstarters ist kinderleicht und dauert nur ein paar Tage. Wollen Sie das mal ausprobieren? Dann los!

Zutaten

75 g Bio-Dinkelvollkornmehl
75 g Bio-Roggenvollkornmehl
180 g Leitungs- oder stilles Mineralwasser

Zubereitung

1. Einen gereinigten und von Spülmittelrückständen befreiten Kunststoffbehälter mit Deckel (1,0–1,5 l Fassungsvermögen) mit 75 g Bio-Dinkelvollkornmehl und 75 g Bio-Roggenvollkornmehl sowie 180 g handwarmem Wasser füllen, alles verrühren und mit Deckel für 24 Stunden bei 25–30°C stehenlassen (zum Beispiel auf einer Heizung). Wichtig ist, den Deckel des Behälters nicht fest zu verschließen, damit die entstehenden Gase entweichen können. Es reicht, den Deckel auf den Behälter zu legen. Damit ist nun die Grundlage für einen individuellen Sauerteigstarter gelegt.

2. Am zweiten Tag den Behälter öffnen und die Masse einmal umrühren.

3. Am dritten Tag sollte sich die Masse schon deutlich gehoben haben und von Blasen durchsetzt sein. Der Geruch kann von angenehm säuerlich bis zu faulten Eiern reichen. Davon sollten Sie sich nicht beunruhigen lassen – außer es gibt Anzeichen von Schimmel (dann bitte von vorne beginnen). Falls es noch wenige Anzeichen für mikrobielle Aktivität gibt, können Sie den Starter noch weitere 12 Stunden bei dieser Temperatur stehen lassen. Ansonsten frischen wir den Starter jetzt das erste Mal auf. Dazu einfach den Inhalt des Behälters in ein anderes Gefäß leeren, den Sauerteig-Behälter reinigen und mit 75 g des ursprünglichen gereiften Sauerteigstarters sowie je 75 g Roggen- und Dinkelvollkornmehl und 180 g Wasser füllen. Sorgfältig umrühren und bei Zimmertemperatur (abseits von Zugluft) abgedeckt 24 Stunden reifen lassen.

4. Mittlerweile sollte die Mischung aus Mehl und Wasser bereits zu einem funktionsfähigen Sauerteigstarter, in der Fachsprache Anstellgut genannt, gereift sein und eine deutliche mikrobielle Aktivität aufweisen. Theoretisch könnten Sie einen Teil dieses Starters jetzt schon zum Bereiten eines Brotsauerteigs verwenden. Allerdings empfehle ich, die Prozedur aus Schritt 3 für weitere fünf Tage zu wiederholen, um den Starter zu stabilisieren und sein Aroma weiter zu verbessern. Man nennt diesen Vorgang des Auffrischens übrigens füttern. Wichtig dabei ist, die Fütterung zur ungefähr gleichen Tageszeit vorzunehmen – mit Hilfe dieses Rhythmus lässt sich genau voraussagen, wann der Sauerteig den Höhepunkt seiner Aktivität erreicht und der Ansatz für die Zubereitung eines Brotteigs verwendet werden kann.

5. Die weitere Pflege des Sauerteigstarters ist ganz leicht: Stellen Sie den Starter nach dem letzten Füttern einfach in den Kühlschrank. Die kühlen Temperaturen verlangsamen die enzymatische Entwicklung, sodass Sie erst nach sieben bis zehn Tagen wieder eine Fütterung vornehmen müssen. Selbst wenn Sie mal 14 Tage oder gar drei Wochen in den Urlaub fahren, müssen Sie Ihre Nachbarn nicht um die regelmäßige Fütterung Ihres Sauerteigs bitten (obwohl ein Sauerteig in gewisser Weise wie ein quicklebendiges Haustier im Kühlschrank ist): Ich habe schon Sauerteige nach langer, langer Zeit wieder zum Leben erweckt, indem ich sie einfach aus dem Kühlschrank geholt und über mehrere Tage regelmäßig gefüttert habe.

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